"Ein Darmkrebs kommt wie ein Tsunami über die Betroffenen"

· DREI FRAGEN AN: Prof. Dr. Reiner Kunz, Chefarzt und Leiter des Darmzentrums am SJK
Prof. Dr. Reiner Kunz

Bei einem zweitägigen Fachkongress im SJK haben sich Experten aus Deutschland und dem europäischen Ausland am 28. und 29. August über die Möglichkeiten und Grenzen einer Radio-Chemotherapie im Vorfeld einer Darmkrebs-OP ausgetauscht. Über die Ursachen von Darmkrebs und neue Behandlungsmethoden berichtet im Drei-Fragen-Interview Prof. Dr. Reiner Kunz, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie und Leiter des Darmzentrums am SJK.

Warum erkranken in Deutschland und in anderen westlichen Ländern so viele Menschen an Darmkrebs?

Medizin und Forschung gehen davon aus, dass 75 Prozent aller Erkrankungen zufällig entstehen und eine Folge unseres Lebensstiles sind. Dazu gehört die Ernährung mit einem hohen Fleischanteil und tierischen Fetten, wenig körperliche Bewegung, Alkohol, Rauchen und generell eine starke Alltagsbelastung und Reizüberflutung. Die Folge sind längere Verweildauer von Nahrung im Darm und auch schädliche Ursachen, die das Entstehen von Krebsgeschwüren begünstigen. In Afrika und weiten Teilen Asien kommt das Krankheitsbild fast gar nicht vor, im gesamten Mittelmeerraum seltener als bei uns. Daraus lassen sich auch bestimmte Rückschlüsse ziehen, wie man als Einzelner das Risiko reduzieren kann. Mehr Obst und Gemüse im Speiseplan, Sport und Bewegung, ungesättigte Fettsäuren, wie sie zum Beispiel in Olivenöl vorkommen, und natürlich Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum.

Ein Viertel aller Erkrankungen hat vermutlich einen genetischen Hintergrund. Gesichert wissen wir aber nur bei drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, dass eine Vererbung vorliegt.
In jedem Fall ist die Vorsorge extrem wichtig. Darmkrebs tut nicht weh! Blut im Stuhl ist oftmals schon ein Spätsymptom. Je früher man die Krankheit erkennt, umso besser sind die Heilungs- und Überlebenschancen.

Welche Fortschritte hat es bei der Behandlung in den letzten Jahren gegeben?

Die Chirurgen lernen immer besser, in den richtigen Schichten zu operieren und den Tumor auf diese Weise vollständig zu entfernen. Auch werden die Methoden schonender, das heißt wir gehen jetzt mehr und mehr endoskopisch mit minimal-invasiven Eingriffen vor, belasten damit weniger das umliegende Gewebe und reduzieren so die Rückfallquote. Auch durch eine begleitende Radio-Chemotherapie können wir heute höhere Heilungsraten erzielen und auch Lebenszeit verlängern.

Nachsorge und Aktivierung von Selbstheilungskräften

Ganz wichtig sind inzwischen die Punkte »Selbstheilungskräfte« und »Nachsorge«, was in früheren Zeiten mangels Wissen noch vernachlässigt wurde. Eine Darmkrebsdiagnose kommt wie ein Tsunami über die Betroffenen und ihre Angehörigen. Im Rahmen der psychoonkologischen Betreuung lernen sie, die Krankheit zu verstehen und stabilisierende Methoden zu entwickeln. In den USA ist dieses unter dem Begriff Mind-Body-Medicine bereits Standard, in Deutschland sind wir noch nicht ganz so weit. Es gibt zum Beispiel sehr positive Erfahrungen mit Sport und bestimmten Meditationstechniken, die die Selbstheilungskräfte aktivieren. Um bei Darmkrebs das Rückfallrisiko zu reduzieren, ist vor allem eine lückenlose Nachsorge erforderlich und gehört heute zum Standard, insbesondere in zertifizierten Darmzentren wie dem Darmzentrum am SJK.

In welchen Fällen ist eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie im Vorfeld einer OP sinnvoll?

Früher hatten wir bei Tumorerkrankungen des Enddarms hohe Rückfallquoten. Heute können wir diese Quote durch Bestrahlung im Kombination mit einer sanften Chemotherapie halbieren. Der Tumor schrumpft, man kann besser und schonender operieren und dadurch häufig den Schließmuskel erhalten, was für viele Patienten eine enorme Erleichterung darstellt. Andererseits gibt es infolge der Radio-Chemotherapie auch erhebliche Nebenwirkungen. Es erhöht sich das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko, die Funktion des Schließmuskels kann nachlassen. Daher wird die Radio-Chemotherapie neuerdings für einzelne Patientengruppen von Medizinern und Forschern auch in Frage gestellt, man muss also Vor- und Nachteile in einem schwierigen Prozess gegeneinander abwägen.

Diese Fachdiskussion wollen wir jetzt auf unserem Kongress führen mit renommierten Experten aus Deutschland und dem europäischen Ausland. Je mehr wir wissen über die Anatomie des Tumors, je besser wir ihn medizinisch erfassen und bewerten können, umso zuverlässiger können wir entscheiden, ob eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie im Vorfeld der OP dem Patienten hilft oder weniger sinnvoll ist.

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Corinna Riemer - Leiterin Unternehmenenskommunikation
Corinna Riemer
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