Der manipulierte Makrophage

Die antituberkulöse Therapie läuft, das Fieber nimmt ab, das Gewicht des Patienten nimmt zu und dann - nach ein paar Wochen, manchmal erst nach Jahren - wird alles wieder schlechter. Warum?
Der manipulierte Makrophage

Tuberkulose: Rezidiv oder entfesselte Immunantwort?

Ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit Mycobacterium tuberculosis infiziert; mehr als 1,2 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an dieser Infektionskrankheit. Man kann nicht behaupten, dass der Mensch die Tuberkulose im Griff hat.

Besonders betroffen sind Patient:innen mit Immundefizienz. Auf welchem Boden sie entsteht, ist dem Bakterium egal: Menschen mit HIV-Infektion sind genauso betroffen wie unterernährte Kinder oder Erwachsene, die wegen einer rheumatologischen Erkrankung eine immunsuppressive Therapie erhalten.

Mycobacterium tuberculosis macht sich aber nicht nur eine vorbestehende Abwehrschwäche zunutze, sondern manipuliert das Immunsystem des Wirts in seinem Sinne. Makrophagen, neutrophile Granulozyten und dendritische Zellen schaffen es nicht, die phagozytierten Tuberkelbazillen abzutöten. Sobald sie verspeist sind, transformieren sie die toxische Umgebung des Verdauungsapparats der Fresszellen in eine gemütliche Stube. Von hier aus dirigieren sie das Konzert der Immunabwehr so geschickt, dass sie über Jahre überleben und zu passender Gelegenheit in Massen vom Wirt ausgehustet werden.

Kurz, die Phagozyten des Wirts werden von M. tuberculosis darauf programmiert, sich – wie Zombies – in den Dienst der Erkrankung zu stellen. Die unglaublichen Fähigkeiten des großen Manipulators M. tuberculosis sind in diesem frei zugänglichen Review schön zusammengefasst [1]. Nach der Lektüre kennt man die Antwort auf die Frage, ob das Granulom den Wirt vor dem Pathogen schützt, oder vielmehr das Pathogen vor dem Wirt.

Das Bild zeigt eine Kernspinntomografie des Kopfes einer an sich immungesunden jungen Frau ohne HIV-Infektion mit Tuberkulomen im Kleinhirn. Sieben Jahre zuvor wurde sie in ihrem Heimatland Rumänien wegen einer tuberkulösen Perikarditis behandelt. Sie muss damals bereits eine unentdeckte Mitbeteiligung des zentralen Nervensystems gehabt haben. S I E B E N Jahre nach dem Tod der Tuberkelbazillen, befreit sich das Immunsystem aus der Manipulation durch die Erreger und reitet eine Attacke gegen Bestandteile avitaler Bakterien, die im Hirngewebe überdauert haben. Die Tuberkulome sind der sichtbare Ausdruck dieser Schlacht. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass die Bakterien tot sind: Die Patientin hatte zeitgleich mit neurologischen Symptomen multiple einschmelzende Lymphknotenschwellungen entwickelt. Zahlreiche aus den Lymphknoten entnommene Gewebeproben waren PCR-positiv, aber nicht ein einziges Mal konnte M. tuberculosis angezüchtet werden. Auch wenn ein Restzweifel bleibt, sind wir uns wegen der negativen Kulturergebnisse ziemlich sicher, dass die Patientin nicht an einem mikrobiologischen Rezidiv, sondern an einem immunologischen Phänomen erkrankt war. Dieses Phänomen bezeichnet man als Paradoxical Upgrading Reaction (PUR) oder Immunrekonstitutionsphänomen. Es tritt bei 2,4 bis 56 % der HIV-negativen Patient:innen mit Tuberkulose auf [2-6]. Die lange Zeitspanne zwischen der Ersterkrankung und dem Einsetzen der PUR macht diesen Fall besonders.

Die Herausforderung besteht darin, zwischen einem Rezidiv der Tuberkulose und den Folgen der wiedererwachenden Immunantwort zu unterscheiden. Die Gretchenfrage lautet: Sind die Bakterien die wir mikroskopisch oder molekularbiologisch finden tot oder lebendig? Da es auf diese Frage keine sichere Antwort gibt wählen wir in dieser klinischen Situation meist einen Kompromiss aus einer antituberkulösen und einer immunsuppressiven Therapie mit Prednisolon.

Dr. Leyli Ghaeni
Fachärztin für Neurologie
Klinik für Infektiologie

Literatur:

  1. Chai Q, Wang L, Liu CH, Ge B: New insights into the evasion of host innate immunity by Mycobacterium tuberculosis. Cellular & molecular immunology 2020, 17(9):901-913.
  2. Cheng SL, Wang HC, Yang PC: Paradoxical response during anti-tuberculosis treatment in HIV-negative patients with pulmonary tuberculosis. Int J Tuberc Lung Dis 2007, 11(12):1290-1295.
  3. Brown CS, Smith CJ, Breen RA, Ormerod LP, Mittal R, Fisk M, Milburn HJ, Price NM, Bothamley GH, Lipman MC: Determinants of treatment-related paradoxical reactions during anti-tuberculosis therapy: a case control study. BMC Infect Dis 2016, 16:479.
  4. Carvalho AC, De Iaco G, Saleri N, Pini A, Capone S, Manfrin M, Matteelli A: Paradoxical reaction during tuberculosis treatment in HIV-seronegative patients. Clin Infect Dis 2006, 42(6):893-895.
  5. Hawkey CR, Yap T, Pereira J, Moore DA, Davidson RN, Pasvol G, Kon OM, Wall RA, Wilkinson RJ: Characterization and management of paradoxical upgrading reactions in HIV-uninfected patients with lymph node tuberculosis. Clin Infect Dis 2005, 40(9):1368-1371.
  6. Tai ML, Nor HM, Kadir KA, Viswanathan S, Rahmat K, Zain NR, Ong KG, Rafia MH, Tan CT: Paradoxical Manifestation is Common in HIV-negative Tuberculous Meningitis. Medicine (Baltimore) 2016, 95(1):e1997.

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