Die Angst des Orthopäden vor dem Rührei

Ein lieber Kollege der Klinik für Orthopädie meldet sich am Telefon: „Guten Tag, wir haben letzte Woche einen Patienten operiert. Wir sind davon ausgegangen, dass wir ein Enchondrom aus der rechten Tibia entfernen. Nachdem wir den Knochen gefenstert haben, kam uns eine Masse entgegen, die wie Rührei aussah. Heute ruft uns die Pathologin an und sagt, sie sehe Fragmente von Echinokokkenzysten. Wir fragen uns nun, ob sich das OP Team in Gefahr gebracht hat?
Infektiologie, Onkologie, Echinokokkose, Echinococcus granulosus

Nicht schmunzeln, die Frage ist relevant. Die Frage muss ernst genommen werden. Der Antwort auf diese Frage haben sich schon ganz andere gewidmet: Die Antwort ist nicht trivial. Sie erzählt von einer infektiologisch atemberaubenden Geschichte: Der Geschichte von Würmern, Wirten und Zwischenwirten.

Unser Patient ist ein 50-jähriger Mann, der im Süden des Libanon geboren und aufgewachsen ist. Er hatte bis zu seinem 14. Lebensjahr einen Hund, den er sehr liebte. Die Gegend, in der er aufwuchs war von Schafzucht geprägt, auch seine Familie hatte Schafe, Rinder, Katzen und eben jenen Hund. Vor mehr als 20 Jahren kam er nach Deutschland und wurde einer der besten libanesischen Köche Berlins.

Beim Fußballspielen hatte er seit ein paar Monaten Schmerzen im rechten Unterschenkel bemerkt. Irgendwann ging er zum Orthopäden und von dort ins MRT. Die Radiologinnen und Radiologen sahen in der rechten Tibia eine Läsion, in der sie ein Enchondrom zu erkennen glaubten. Über diese Einschätzung lässt sich retrospektiv diskutieren, und vielleicht wären die Kolleginnen und Kollegen unter Würdigung der Anamnese dazu gekommen, zumindest noch eine alternative Diagnose in Betracht zu ziehen. Wie dem auch sei, der Patient wurde operiert, beim Fenstern der Tibia kam dem Operateur eine Masse entgegen, die ihn an Rührei erinnerte, und aus dieser Masse wurde die eigentliche Diagnose gestellt.

Echinococcus granulosus – der Hundebandwurm – braucht für die Komplettierung seines Lebenszyklus’ den Hund das Schaf und den Hund. Als Erwachsener lebt E. granulosus in der Gestalt eines Bandwurmes im Darm des Hundes – unauffällig und ohne seinem Wirt Schaden zuzufügen. Nicht, dass Sie denken, dieser Bandwurm sei mehrere Meter lang, wie etwa der Fischbandwurm. Nein, er misst nur wenige Millimeter und er hat nur drei Segmente (Proglottiden). Im dritten Proglottid, dem schwangeren Segment reifen seine Eier. Der infestierte Hund scheidet diese Eier aus. Und dann liegen sie da – im Gras – die im Stuhl eingebetteten Eier. Sie fragen sich, wie kommen diese Eier ins Schaf? Über die Haut? Über die Lunge? Tatsächlich fressen Schafe Hundekot! Sie tun dies nicht aus Liebhaberei... Oder vielleicht doch? Vielleicht fressen Schafe gerne Hundekot, weil es die Koevulotion von Parasit, Wirt und Zwischenwirt über Millionen von Jahren für vorteilhaft befunden hat, dass sie Hundekot mögen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Eier, die im Darm des Schafes landen haben jetzt ihren Moment. Noch präziser sind es die Larven oder Onkosphären, die in den Eiern schlummerten: Sie erspüren exakt den richtigen Zeitpunkt um zu schlüpfen. Und von da an müssen die jugendlichen Echinokokken, auf ihrem Weg zum Erwachsensein eine Serie von Prüfungen bestehen: Sie müssen sich an die Darmwand anheften. Sie müssen die Darmwand durchbohren. Sie müssen ihren Weg in den Blutstrom finden – sie bevorzugen Gefäße, die in der Pfortader münden. Sie müssen in der Leber erkennen, dass sie am richtigen Ort gelandet sind und sie müssen sich dort festhalten und eine Metamorphose zu »Metazestoden« durchlaufen. Das alles schaffen sie. Und es gelingt ihnen meist, in der Leber zu bleiben und sich dort einzurichten. Sie bilden dort – vom Immunsystem des Schafs unbehelligt – Zysten, und Zysten in den Zysten und immer so weiter. Und in den Zysten entstehen – wie in einer Gebärmutter – kleine jugendliche Würmer [1, 2]. Der jugendliche Wurm ähnelt zwar schon in einigen seiner Teile dem erwachsenen Bandwurm, aber weil er noch kein ausgewachsener Wurm (griechisch σκώληξ, Scolex) sondern nur ein halbstarker Wurm ist wird er Protoscolex genannt. Das Schaf merkt von all dem nichts, es sieht nicht krank aus. Aber der Schlachter merkt es, wenn er die Leber des Schafs inspiziert und erkennen muss, dass sie von hydatiden Zysten (Griechisch ὑδατίς = wässrige Blase) durchsetzt ist. So eine Leber kann man nicht verkaufen, und so verfüttert der Schafzüchter sie – verärgert – dem Hund. Der Hund ist nicht verärgert, die Protoscolices auch nicht. Sie vollenden ihre Pubertät und finden im Darm des Hundes als erwachsene Bandwürmer eine neue Heimat. Der Kreis schließt sich.

Der Mensch ist in diesem Spiel nur ein Nebenschauplatz: Hunde lecken nach dem Stuhlgang ihren Po und dann mitunter das Gesicht ihres Herrchens. So kann es kommen, dass Bandwurmeier unvorhergesehen in den menschlichen Darm geraten. Die Larven finden das nicht weiter aufregend. Für die Onkosphären bestehen keine relevanten Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Schaf, so dass die halbstarken Echinokokken ihren Weg auch in die menschliche Leber finden und dort im Sinne des Wurmes funktionierende hydatide Zysten ausbilden. Damit ist die Sache aber auch erledigt. Der Parasit ist in eine Sackgasse geraten, weil wir Menschen nicht geschlachtet, und unsere Lebern nicht von Hunden gefressen werden.

Warum aber hatte unser Patient Echinokokken im Knochen? Genau wie im Schaf schaffen es auch im Menschen einige der Onkosphären, an der Leber vorbei in andere Strukturen zu gelangen. Die Lunge ist oft die nächste Station aber auch die Knochen sind ein guter Landeplatz für E. granulosus. So war es bei unserem Patienten und unser Bild zeigt einen Anschnitt der lamellär geschichteten Zystenwand und in der Mitte einen stark vergrößerten angeschnittenen Protoscolex, mit einem Hakenkranz.

Weitere Läsionen hatte er nicht, seine Leber war unauffällig.

Jetzt wissen wir alles um die Frage des Orthopäden zu beantworten: Der Lebenszyklus von E. granulosus ist strikt organisiert. Selbst wenn der Orthopäde das Rührei mit den Protoscolices verspeist hätte, hätte er sich nur dann infizieren können, wenn er ein Hund wäre. Das ist er aber nicht. E. granulosus braucht einen geeigneten Hauptwirt um seinen Lebenszyklus zu vollenden. Das ist nun mal der Hund. Der adulte Wurm ist in dieser Hinsicht sehr streng. Für E. granulosus ist der Mensch einfach kein Hund. Im Gegensatz dazu ist der jugendliche E. granulosus in dieser Frage etwas liberaler. Für ihn ist der Mensch wie ein Schaf.

Heike Gillmann
Fachärztin für Innere Medizin
Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin

Literatur: 

  1. Galindo M, Gonzalez MJ, Galanti N: Echinococcus granulosus protoscolex formation in natural infections. Biological research 2002, 35(3-4):365-371, DOI: 10.4067/s0716-97602002000300011.
  2. Galindo M, Schadebrodt G, Galanti N: Echinococcus granulosus: cellular territories and morphological regions in mature protoscoleces. Exp Parasitol 2008, 119(4):524-533, DOI: 10.1016/j.exppara.2008.04.013.

Hinweis
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.