Fieber, Nachtschweiß, Knochenschmerzen und pulmonale Rundherde - Mit Happy End

Darauf sind wir lange nicht gekommen – Teil 2
HIV Aids Syhpilis Lues Osteitis Säbelscheidentibia

Der Termin zur CT-gesteuerten Punktion eines der pulmonalen Rundherde war schon vereinbart als einer unserer pfiffigen Assistenzärzt:innen den Fall noch einmal durchstudierte. Er verkroch sich für eine Stunde in PubMed und kam mit einem Therapievorschlag zurück: Penicillin G. Wir erklärten ihn für verrückt. War er aber nicht.

Am Wochenende vor der geplanten nächsten Vorstellung hatte der Patient im Gesicht, am Stamm und den Armen insgesamt vier ca. 5mm durchmessende Pusteln entwickelt. Er hatte den sensationellen TPHA Titer von 1:327.680 und einen Cardiolipin-Titer (ehemals VDRL) von 1:256.

Treponema pallidum war der Schlüssel für des Rätsels Lösung. Wir fanden den Erreger immunhistologisch in einer Probe der Haut und wir fanden Spirochäten in der BAL-Flüssigkeit (was der Chefpathologe zunächst nicht glauben wollte und als Artefakt interpretierte).

So konnten wir auf die Biopsie der pulmonalen Herde verzichten. Unsere 14-tägige Therapie mit Penicillin löste alles in Luft auf. Der Patient entfieberte, die Knochenschmerzen verschwanden und die pulmonalen Rundherde schrumpften um die Hälfte; nur die Rippe muss noch zusammenwachsen.

Die Begegnung mit den seltenen Manifestationen der Syphilis ist für die meisten von uns eine Begegnung mit dem Lehrbuch. So kannte der Verfasser dieser Zeilen „plaques muqueuses“ lange nur von seiner Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen als Schwarzweißfotographie – das in seinen Augen unglückliche Los hatte ihm Dermatologie als Prüfungsfach zugewiesen. Und es vergingen viele Jahre bis er endlich diese typischen Zeichen der Lues II in Farbe auf der Zunge eines Patienten sehen durfte. (Die mannigfaltigen Läsionen, die im Stadium II der Erkrankung auftreten können und eine geraffte Geschichte der Lues können Sie hier kurzweilig nachlesen [1]).

Anders als während der späten Lues (wir erinnern an die Säbelscheidentibia) ist in den frühen Stadien der Erkrankung die syphilitische Osteitis mit 15/10.000 Fällen eine Rarität [2]. Seit den 1980er Jahren tauchen allerdings immer wieder Fallbeschreibungen von Osteitiden bei Patientinnen und Patienten mit Lues II und HIV-Infektion auf [3-8]. Der hier beschriebene Fall mit seinen Herden in den Wirbelkörpern (unser Bild) ist eines der Beispiele.

Wenn man etwas Erhellendes zu syphilitischen Affektionen der Lunge erfahren möchte, muss man nicht weniger als 101 Jahre zurückblättern [9]. Einige aktuellere Fallberichte trösteten uns, weil sie dokumentieren, dass es in modernen Zeiten auch noch andere gibt, die für die Diagnosestellung der Syphilis den Umweg über eine PET-CT gehen mussten [10].

Wie gesagt, vor 100 Jahren wäre die Diagnose schneller - und kostengünstiger - gestellt worden.

Die Syphilis bekam ihren Namen im Jahre 1530. Der visionäre Arzt, Astronom und Poet Girolamo Fracastoro aus Verona beschrieb damals in seinem epochalen Gedicht „Syphilis sive morbus Gallicus“ die Krankheit, die damals die Gesellschaft in Europa in große Unruhe stürzte, weil sie sich so rasch ausbreitete und so viele Menschen unheilbar erkranken ließ, sie verunstaltete und in den Wahnsinn oder den Tod trieb. Die Inspiration für den Namen lieferte Herrn Fracastoro die Figur des Hirten Syphilos (Σύφιλος) aus der griechischen Mythologie, der mit einer Lues venera gestraft wurde, weil er nicht an den richtigen Gott glauben wollte [11, 12]. Fracastoro, ein Kind der Renaissance, wusste damals bereits genau, dass diese Vorstellung von infektiösen Erkrankungen eine ganz und gar mittelalterliche Idee war: Er postulierte 1546 in seiner Schrift „De contagione et contagiosis morbis“ als erster, dass es ein kontagiöses Agens geben müsse, das durch Berührung, durch Gegenstände (den Zunder) oder durch die Luft übertragen werden könne [12].

Den Übertragungsweg, den das kontagiöse Agens Treponema pallidum für uns gewählt hat, kennen wir im St. Joseph Krankenhaus sehr genau.

Dr. Hartmut Stocker
Facharzt für Innere Medizin, Infektiologie
Chefarzt der Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin

Literatur:

  1. Baughn RE, Musher DM: Secondary syphilitic lesions. Clinical microbiology reviews 2005, 18(1):205-216.
  2. Reynolds F, Wasserman H: Destructive osseous lesions in early syphilis. Archives of Internal Medicine 1942, 69(2):263-276.
  3. Kastner RJ, Malone JL, Decker CF: Syphilitic osteitis in a patient with secondary syphilis and concurrent human immunodeficiency virus infection. Clinical infectious diseases : an official publication of the Infectious Diseases Society of America 1994, 18(2):250-252.
  4. Kandelaki G, Kapila R, Fernandes H: Destructive osteomyelitis associated with early secondary syphilis in an HIV-positive patient diagnosed by Treponema pallidum DNA polymerase chain reaction. AIDS patient care and STDs 2007, 21(4):229-233.
  5. Toby M, Larbalestier N, Kulasegaram R, Teague A, Conway K, White J: Calvarial syphilis in an HIV-positive man. International journal of STD & AIDS 2012, 23(5):365-366.
  6. Boix V, Merino E, Reus S, Torrus D, Portilla J: Polyostotic osteitis in secondary syphilis in an HIV-infected patient. Sexually transmitted diseases 2013, 40(8):645-646.
  7. Trevillyan JM, Yap KS, Hoy J: The great medical imitator: a case of syphilitic osteitis in the setting of HIV infection. Sexual health 2013, 10(3):275-278.
  8. Elopre L, Morell V, Bosshardt C, Geisler WM: A case of syphilitic osteitis in a patient with HIV infection. International journal of STD & AIDS 2014, 25(10):765-767.
  9. Carrera J: A pathologic study of the lungs in one hundred and fifty-two autopsy cases of syphilis. Am J Syphilis 1920, 4(1):1-33.
  10. Kim SJ, Lee JH, Lee ES, Kim IH, Park HJ, Shin C, Kim JH: A case of secondary syphilis presenting as multiple pulmonary nodules. The Korean journal of internal medicine 2013, 28(2):231-235.
  11. Stratman-Thomas WK: GIROLAMO FRACASTORO (1478-1553)-AND SYPHILIS. California and western medicine 1930, 33(4):739-742.
  12. Pesapane F, Marcelli S, Nazzaro G: Hieronymi Fracastorii: the Italian scientist who described the "French disease". Anais brasileiros de dermatologia 2015, 90(5):684-686.

Hinweis
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.