Sepsis ohne Sepsis, wie uns ein enthemmtes Immunsystem in die Irre leiten kann

Hyperinflammationssyndrome sind Ausdruck eines außer Rand und Band geratenen Immunsystems. Die klinischen Symptome ähneln denen einer Sepsis. Auslöser für überschießende Immunreaktionen sind oft Tumorerkrankungen – in diesem Fall war es ein HIV-assoziiertes Non-Hodgkin-Lymphom.
HLH; Hämophagozytose, Hämophagozytische Lymphohistiozytose, Hyperinflammation,

Ein 23-jähriger Mann mit sechs Wochen zuvor diagnostizierter HIV-Infektion wird mit Symptomen und Zeichen einer schweren Sepsis in eine Klinik eingeliefert. Vor fünf Wochen hatte er mit der Behandlung seiner HIV-Infektion begonnen. Die Helferzellen lagen zum Therapiebeginn bei 275/µl. Zum Zeitpunkt der Aufnahme bestehen ein Nierenversagen, ein respiratorisches Versagen, eine Hepatitis, und die LDH ist auf das Fünffache des oberen Normwerts erhöht. Serum Natrium und Albumin sind deutlich erniedrigt, die Entzündungsparameter CrP und PCT erhöht, das BB zeigt eine Panzytopenie. Der Patient wird auf die Intensivstation unseres Hauses verlegt, nachdem sich sein Zustand unter einer breiten antiinfektiven Therapie verschlechterte.

Auch wenn es klinisch so aussah, hatte dieser junge Mann keine Sepsis, sondern ein Hyperinflammationssyndrom (Hämophagozytosesyndrom, HLH). Das Krankheitsbild wurde durch ein bis dahin nicht diagnostiziertes HIV-assoziiertes Non-Hodgkin-Lymphom ausgelöst. Die überschießende Entzündungsreaktion flaute nach Einleitung einer zytostatischen Therapie (ganz ohne Antiinfektiva) innerhalb von wenigen Stunden ab.

Was ist Hyperinflammation? Hier die Erklärung eines nicht-Immunologen für nicht-Immunolog*innen: Das Immunsystem funktioniert wie ein Symphonieorchester: Der Dirigent lässt aufspielen und er bringt die Musiker nach jedem Einsatz wieder zum Schweigen. Sobald der Dirigent jedoch das Podium verlässt, spielen alle Musiker, wie und was sie wollen.

Wir sehen diesen Zustand der Enthemmung des Immunsystems immer wieder bei HIV-Infizierten Menschen als Erstmanifestation von Lymphomen und HHV-8 assoziierten Erkrankungen (Kaposi Sarkom, multizentrischer Morbus Castleman und Primäres Ergusslymphom). Weil der Dirigent (die CD4-Zelle) schwächelt, reagiert das Immunorchester auf diese Erkrankungen erratisch und steigert sich in einen unkontrollierten Furor. Das führungslose Immunsystem entfacht dabei einen Zytokinsturm, in dessen Glut der Organismus buchstäblich verbrennt, wenn die auslösende Erkrankung nicht erkannt und behandelt wird.

Das Bild zeigt einen Makrophagen im Knochenmark unseres Patienten, der – zytokinberauscht – andere Blutzellen phagozytiert hat. Das sollte er eigentlich nicht tun.

Dr. med. Kai Hosmann
Facharzt für Innere Medizin, Onkologie, Infektiologie
Klinik für Infektiologie

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Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.