Auf die Präanalytik kommt es an: Probengefäße aus Latex sind ungeeignet

Wir haben uns hier schon einmal über die Bedeutung der Präanalytik ausgelassen. Wer eine diagnostische OP in Auftrag gibt, sollte sich zuvor über wahrscheinliche und auch über unwahrscheinlichere Differentialdiagnosen Gedanken machen, und das Material entsprechend analysieren lassen. Das ist die Botschaft dieses Infektoskops. Eine zweite Botschaft zu COVID-19 ist kurz vor Schluss des Beitrags versteckt.
Aids Tuberkulose Orchitis Epididymitis Präanalytik Infektiologie

Ich habe den Satz über die Präanalytik bewusst so formuliert, weil die Schuld gerne den Operierenden in die Schuhe geschoben wird, wenn die Proben nicht die erhofften Antworten liefern. Aber da müssen sich alle – auch die Auftraggebenden – an die eigene Nase fassen: Infektiologinnen – und, ich glaube auch Mikrobiologinnen – träumen immer wieder mal nachts von den goldenen Regeln der Präanalytik. Sie träumen dann, dass in die Probenverpackung, den Versand und die Formulierung der Fragestellung genau so viel Hirnschmalz und handwerkliches Geschick einfließen wie in die Probengewinnung. Die Hirnbiopsie geht in diesen Träumen nicht nur in die Pathologie, und die Knochenbiopsie erreicht die Mikrobiologie in NaCl – nicht in Formalin, und die Peritonealbiopsien werden in vier oder mehr Probengefäße aufgeteilt, mit vier Auftragsscheinen - einer für Bakterien, einer für Pilze, einer für Mykobakterien und einer für die Rückstellprobe falls später molekularbiologische Untersuchungen notwendig werden. In diesen Träumen gibt es die Fragestellung „Mikrobiologie auf alles“ nicht.

Auch das Probengefäß sollte klug gewählt werden, wie unser heutiger Fall illustriert.

Ein 36-jähriger, HIV-negativer, heterosexueller Mann der in einem Land Westafrikas geboren wurde und auf der ganzen Welt geschäftlich unterwegs ist, stellte sich im Juli 2021 erstmals in einer Klinik für Urologie vor, weil er eine schmerzhafte Schwellung am rechten Hoden bemerkt hatte. Fragen nach Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust verneinte er. Vorerkrankungen habe er keine. Die Laborwerte waren bis auf ein diskret erhöhtes CRP (21mg/l) unauffällig.

Zunächst erhielt er bei V.a. Epididymitis eine Antibiotikatherapie (Gentamicin gefolgt von Ciprofloxacin), die nicht erfolgreich war. In der Folge suchte er Ende August erneut Hilfe in der Urologie. Die Sonographie zeigte das Bild eines Hodentumors, so dass eine Orchidektomie durchgeführt wurde. Das entfernte Gewebe ging an die Pathologie, und leider nur an die Pathologie, wo man keinen Tumor, sondern eine granulomatöse Entzündung fand. Jetzt war die Not groß, weil kein Material in die Mikrobiologie versandt worden war und der Versuch, über die Pathologie zu retten, was noch zu retten war scheiterte: Mikroskopisch: keine säurefesten Stäbchen; Molekularbiologisch: kein Nachweis von DNA des M. tuberculosis Komplex’. In der Zwischenzeit begann nun auch der verbliebene Hoden schmerzhaft zu schwellen, so dass der Patient im November 2021 nach einer vierzehntägigen Therapie mit Doxycyclin und Cefpodoxim bei uns vorgestellt wurde.

Nach der Lymphknotentuberkulose ist die urogenitale Tuberkulose die häufigste extrapulmonale Manifestation der Erkrankung. Sie ist allerdings in Deutschland wegen der niedrigen Prävalenz der Tuberkulose eine Rarität, weshalb auch der Autor die „Kittniere“ nur aus dem Prüfungsfragenkatalog des IMPP kennt. Verglichen mit der Niere kommen die Genitalien noch viel seltener zum Zug. Wenn sie denn betroffen sind, manifestiert sich die Erkrankung beim Mann als Orchitis, Epididymitis, Prostatitis und als TB der Samenbläschen und des Penis’ [1]. Wegen der Seltenheit dieser Krankheitsausprägungen dauert es selbst in Ländern mit hoher TB-Prävalenz ziemlich lange, bis die Diagnose gestellt wird, weil zunächst die Differentialdiagnosen „bakterielle Infektion“ oder „Tumor“ verfolgt werden – mit den entsprechenden Unterlassungen bei der Präanalytik. So verstreichen im Mittel 6,4 Monate bis eine genitale Tuberkulose diagnostiziert wird [2].

Weil wir unserem Patienten die Entfernung seines verbleibenden Hodens zum Zweck der Materialgewinnung ersparen wollten, haben wir mittels Bildgebung nach extragenitalen Manifestationen einer Tuberkulose gesucht, aber keine gefunden. Die Samenbläschen, die Sie in unserem CT-Bild sehen wiesen jedoch Abszedierungen auf, weshalb wir optimistisch waren, die Verdachtsdiagnose „TB“ aus alternativem Probenmaterial erzwingen zu können: Zuerst fokussierten wir uns auf den Urin, wo allerdings weder mikroskopisch noch molekularbiologisch der Nachweis von säurefesten Stäbchen bzw. M. tuberculosis Komplex gelang. Dann baten wir den Patienten um eine Spermaprobe. Und weil wir uns unserer Sache so sicher waren, verletzten wir die goldenen Regeln der Präanalytik. Die Quittung kam am selben Tag in Form des folgenden Befundes:

Zur Probe: Die Untersuchungen konnten leider nicht durchgeführt werden, da die Probe im zugeknoteten Kondom eingesendet wurde. Die Station wurde informiert. Bitte nur das Ejakulat in einem verschlossenen Gefäß einsenden.

Peinlich berührt haben wir den Patienten um eine zweite Probe gebeten, die er in einem sterilen Behältnis - mit einem Schmunzeln - abgab, und die wir brav und tapfer auf vier Probengefäße (mit vier Begleitscheinen) aufgeteilt haben. Aus dem für die TB-Diagnostik bestimmten Röhrchen glückte schließlich der molekularbiologische Nachweis von M. tuberculosis (ohne Hinweis auf eine Rifampicin-Resistenz). Seit einer Woche nimmt der Patient eine klassische Vierfachtherapie (HRZE) ein. Wir hoffen, dass er um eine Orchidektomie herumkommt. Seine Partnerin wird gerade auf eine genitale TB untersucht, weil die Erkrankung auch auf sexuellem Wege übertragen werden kann [3, 4].

Take Home Message: Die Präanalytik ist wichtig, die Präanalytik braucht Liebe und sie braucht persönlichen Einsatz. Benutzte Latexbehältnisse sind keine geeigneten Probengefäße.

Dr. Hartmut Stocker
Facharzt für Innere Medizin, ZW Infektiologie
Chefarzt der Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin

Literatur

  1. Kulchavenya E: Urogenital tuberculosis: definition and classification. Therapeutic advances in infectious disease 2014, 2(5-6):117-122.
  2. Huang Y, Chen B, Cao D, Chen Z, Li J, Guo J, Dong Q, Wei Q, Liu L: Surgical management of tuberculous epididymo-orchitis: a retrospective study of 81 cases with long-term follow-up. BMC Infect Dis 2021, 21(1):1068.
  3. Kimura M, Araoka H, Baba H, Okada C, Murase Y, Takaki A, Mitarai S, Yoneyama A: First case of sexually transmitted asymptomatic female genital tuberculosis from spousal epididymal tuberculosis diagnosed by active screening. Int J Infect Dis 2018, 73:60-62.
  4. Lattimer JK, Colmore HP, Sanger G, Robertson DH, Mc LF: Transmission of genital tuberculosis from husband to wife via the semen. American review of tuberculosis 1954, 69(4):618-624.

Hinweis
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.