Differentialdiagnostik bei Patient*innen mit Aids: Ein Konzept, das zu kurz greift

Menschen mit Aids entwickeln nicht nur eine, sondern mehrere, zum Teil seltene Erkrankungen verschiedener Organsysteme. Daher gilt es, zusätzlich Paralleldiagnosen aufzuspüren, die sich hinter der, das klinische Bild dominierenden Diagnose verbergen.
HIV; Aids; opportunistische Erkrankungen; Infektionen; Pneumocystis Pneumonie

Differentialdiagnose versus Paralleldiagnose

Das Bild zeigt die Häufigkeitsverteilung der zwölf wichtigsten opportunistischen Erkrankungen, die wir in Berlin bei Menschen mit spät diagnostizierter HIV-Infektion behandeln. Bis auf Blutstrominfektionen, die wir in die Grafik hineingeschmuggelt haben, sind alle Entitäten Teil der 1993 zuletzt revidierten Liste der 25 Aids-definierenden Erkrankungen. Wir haben die Pneumocystis Pneumonie (PcP) farbig gekennzeichnet, weil sie so häufig vorkommt und so gefährlich ist. Genauso gut könnten wir 20 Balken links des Kaposi-Sarkoms einfärben, um daran zu erinnern, dass die Mehrheit der Aids-definierenden Erkrankungen – jede für sich – sehr selten auftritt.

Die wichtigste Botschaft des Bildes ergibt sich aus der Summe aller Balken, die deutlich größer als 100 Prozent ist: Menschen mit Aids entwickeln nicht nur eine, sondern mehrere, zum Teil seltene Erkrankungen verschiedener Organsysteme. Damit sprengt Aids unser ärztliches Denkschema, das uns vom Symptom über Differentialdiagnosen zur Diagnose leitet. Bei Menschen mit Aids gilt es, zusätzlich Paralleldiagnosen aufzuspüren, die sich hinter der, das klinische Bild dominierenden Diagnose verbergen.

Dr. Hartmut Stocker
Chefarzt, Facharzt für Innere Medizin, Infektiologie

Hinweis
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.