Von Fledermäusen und Staphylokokken

„Unter allen (...) Tieren (...) nimmt die Fledermaus eine eigenartige Stellung ein. Sie verdankt dies wohl in erster Linie dem Umstand, dass sie (...) wie ein Vogel fliegen kann, zweitens, dass ihr Auftreten an die Dämmerung und Nachtzeit gebunden ist und drittens der Tatsache, dass ihr jeweiliges Erscheinen und Verschwinden sich vollkommen geräuschlos und plötzlich vollzieht, ihr Verbleiben tagsüber aber rätselhaft bleibt und somit ihr ganzes Dasein und Gebaren etwas (...) Unheimliches an sich hat.„ [1].
Von Fledermäusen und Staphylokokken

 

Das Bild, das wir heute unters Infektoskop nehmen erinnert an eine Fledermaus- auf den zweiten Blick sehen wir das infektiös destruierte linke Iliosakralgelenk eines bis vor kurzem gesunden 55-jährigen Mannes.

Unser Patient stellte sich kurz vor Weihnachten 2023 mit starken Schmerzen in beiden Schultern in der Notaufnahme vor. Die Beschwerden bestehen seit mehreren Wochen, er habe bereits Injektionen von einem niedergelassenen Orthopäden erhalten, nun seien die Schmerzen aber eher schlimmer geworden. Im Dezember habe er sich von einem Bekannten eine Tätowierung stechen lassen. Das war die zweite kleine Besonderheit in der Anamnese. Ansonsten fiel nichts Bemerkenswertes auf: Er habe keine Vorerkrankungen, insbesondere keine Immunschwäche. Er rauche nicht und trinke nur gelegentlich Alkohol. Risikosubstanzen werden nicht konsumiert. Es befinden sich keine Fremdmaterialien im Körper.

In der initialen Bildgebung sahen wir eine Flüssigkeitsansammlung im rechten Schultergelenk welche bei Verdacht auf ein infektiöses Geschehen operativ drainiert wurde. Im eitrigen Gelenkserguss wuchs – genau wie in den bei Aufnahme abgenommenen Blutkulturen – ein Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus.

Zunächst ein kleiner Exkurs: S. aureus wurde nach der charakteristischen goldgelben Farbe seiner Kolonien auf Agarplatten benannt (aureus = golden, lat). Passend hierzu wurde früher vermutet, er sei für die Färbung von Eiter verantwortlich, da abszedierende Entzündungen zu seinen Spezialitäten gehören.

Dieses Bakterium besiedelt den Nasen-Rachen-Raum von 30 Prozent der gesunden Bevölkerung [2], es kann aber – wie Sie alle wissen – auch für allerlei böse Überraschungen wie Blutstrominfektionen mit metastatischen Infektionsherden sorgen.

Verantwortlich für die unheimliche und herausragende Aggressivität von S. aureus sind seine ausgeklügelten Strategien die es ihm ermöglichen, dem menschlichen Immunsystem zu entgehen. Etwa wird durch Expression von Virulenzfaktoren mit den verniedlichenden Bezeichnungen FLIPr oder CHIPS die Arbeit der Neutrophilen Granulozyten auf verschiedenen Ebenen gestört [3]. Mithilfe des Oberflächenproteins FnBPA verschafft sich das Bakterium Zugang zu den Endothelien der Gefäßwände, sodass es bei einer Blutstrominfektion in angrenzende, bis dato gesunde Gewebe einwandern und dort metastatische Infektionen hervorrufen kann [4, 5].

Unser Patient verbrachte die ersten Tage seines Aufenthalts wegen Sepsis und Multiorganversagen auf der Intensivstation, wo die kalkuliert begonnene Therapie mit Cefazolin weitergeführt wurde. Die transösophageale Echokardiographie zeigte keine Vegetationen oder andere endokarditistypische Läsionen.

Bei persistierenden Schulter- sowie neu hinzugekommenen Hüft- und Rückenschmerzen zeigte die Bildgebung nicht nur eine Progredienz des rechtsseitigen Schulterabszesses, sondern zusätzlich eine linksseitige Sakroiliitis mit Destruktion der angrenzenden Knochen. Und damit nicht genug: Es offenbarten sich im MRT multiple Infektionsherde an HWS und BWS, sowie vom betroffenen Iliosakralgelenk ausgehende Fistelgänge in die Glutealmuskulatur. Passend zu diesen Befunden wuchs drei Wochen nach Beginn der Therapie immer noch S. aureus in der Blutkultur, sodass wir die Therapie auf Flucloxacillin umstellten und zeitweise um Fosfomycin ergänzten. Und es folgten mehrere operative Eingriffe.

Nach diesen interventionellen und konservativen Maßnahmen ließ sich in den Blutkulturen endlich kein Bakterienwachstum mehr feststellen. Die Entzündungsparameter fielen und der Allgemeinzustand des stets afebrilen Patienten besserte sich allmählich.

Aufgrund der starken Hüftschmerzen bei Mobilisierung wurde eine Verschraubung des destruierten ISG von unseren orthopädischen Kolleginnen und Kollegen vorgenommen. Nach Umstellung der Antibiotikatherapie auf Cotrimoxazol und Rifampicin (letzteres begründet durch das eingebrachte Fremdmaterial) konnte unser Patient nach 8 Wochen endlich entlassen werden. Ein vorläufig erfreulicher Ausgang dieser Geschichte. Ob es dabei bleibt wird sich zeigen.

Viele schlaue Köpfe bemühen sich seit vielen Jahren darum, Faktoren zu identifizieren, die es erlauben, eine Bakteriämie mit niedrigem von einer Bakteriämie mit hohem Risiko für komplizierte Verläufe zu unterscheiden. Eine schöne Zusammenfassung dieser Bemühungen finden Sie in diesem Artikel [6], der vor allem zeigt, dass es gar nicht so einfach ist S. aureus Bakteriämien zu finden die wirklich harmlos sind. Und so war es alles andere als einfach Menschen mit S. aureus Blutstrominfektionen für die SABATO-Studie zu rekrutieren, die die Frage beantworten wollte, ob es möglich ist, die Hälfte der Therapie einer „low-risk“ Blutstrominfektion oral durchzuführen. Von 5.063 gescreenten Patientinnen und Patienten erfüllten 4.694 die Kriterien für ein niedriges Risiko nicht [7]! Die Botschaft lautet, dass fast jede Blutstrominfektion mit S. aureus sehr gefährlich ist.

Was können wir aus diesem Fall lernen? Die Fledermaus, die uns aus dem Bild entgegenfliegt, könnte uns daran erinnern, dass es das Wesen von S. aureus ist, sich unentdeckt verstecken zu können um dann unerwartet und lautlos aufzutauchen um schließlich in vollkommener Dunkelheit zielsicher seine wehrlose Beute aufzuspüren.

S. aureus ist ein Anpassungskünstler, der kein vorgeschädigtes Gewebe und keine Endoprothesen oder Fremdmaterial benötigt, um sich wohlzufühlen und der die Barrikaden des Immunsystems mit Leichtigkeit überwindet. Er fragt nicht zwingend nach dem Risikoprofil seines Wirts, bevor er sich entscheidet, für metastatische Streuherde zu sorgen und unseren Screening- und Therapiekonzepten ein Schnippchen zu schlagen. S. aureus veräppelt das Immunsystem, und an seinem Schlüsselbund hängen sehr viele Schlüssel für sehr viele Türen.

Wir beobachten zuletzt einen Anstieg der Fälle von immunkompetenten Patientinnen und Patienten mit S. aureus Blutstrominfektionen und metastatischen Infektionsherden wie Spondylodiszitiden und Gelenkabszessen. Uns stellt sich die Frage, ob wir es hier mit einer zufälligen Häufung zu tun haben. Machen Sie ähnliche Beobachtungen? Und wenn ja, sehen wir hier das Resultat einer postpandemisch veränderten Immunlage der Bevölkerung oder der Selektion neuer, besonders virulenter MSSA-Stämme? Eine interessante und wichtige Frage, die wir gerne mit Ihnen diskutieren würden (infektiologie@sjk.de).

P.S.: Wir versprechen, beim nächsten Infektoskop Ihre Kommentare zu unserem letzten Fall zu veröffentlichen und sie im Lichte des weiteren Verlaufs zu kommentieren.

Alena Schenk
Weiterbildungsassistentin Innere Medizin und Infektiologie
Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin

Literatur

  1. Wirz P: Über die Bedeutung der Fledermaus in Kunst, Religion und Aberglauben der Völker. Geogr Helv 1948, 3(1):267-278, DOI: 10.5194/gh-3-267-1948.
  2. Rigaill J, Gavid M, Fayolle M, Morgene MF, Lelonge Y, Grattard F, Pozzetto B, Crépin A, Prades JM, Laurent F et al: Staphylococcus aureus nasal colonization level and intracellular reservoir: a prospective cohort study. European journal of clinical microbiology & infectious diseases : official publication of the European Society of Clinical Microbiology 2023, 42(5):621-629, DOI: 10.1007/s10096-023-04591-z.
  3. Thomer L, Schneewind O, Missiakas D: Pathogenesis of Staphylococcus aureus Bloodstream Infections. Annual review of pathology 2016, 11:343-364, DOI: 10.1146/annurev-pathol-012615-044351.
  4. Edwards AM, Potts JR, Josefsson E, Massey RC: Staphylococcus aureus host cell invasion and virulence in sepsis is facilitated by the multiple repeats within FnBPA. PLoS pathogens 2010, 6(6):e1000964, DOI: 10.1371/journal.ppat.1000964.
  5. Kwiecinski JM, Horswill AR: Staphylococcus aureus bloodstream infections: pathogenesis and regulatory mechanisms. Current opinion in microbiology 2020, 53:51-60, DOI: 10.1016/j.mib.2020.02.005.
  6. Kouijzer IJE, Fowler VG, Jr., Ten Oever J: Redefining Staphylococcus aureus bacteremia: A structured approach guiding diagnostic and therapeutic management. The Journal of infection 2023, 86(1):9-13, DOI: 10.1016/j.jinf.2022.10.042.
  7. Kaasch AJ, López-Cortés LE, Rodríguez-Baño J, Cisneros JM, Dolores Navarro M, Fätkenheuer G, Jung N, Rieg S, Lepeule R, Coutte L et al: Efficacy and safety of an early oral switch in low-risk Staphylococcus aureus bloodstream infection (SABATO): an international, open-label, parallel-group, randomised, controlled, non-inferiority trial. The Lancet Infectious diseases 2024, DOI: 10.1016/s1473-3099(23)00756-9.

Hinweis
Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter.